Befahrung horizontaler Strecken ohne Seiltechnik

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Die Befahrung von Strecken und Stollen erfolgt mehr oder weniger aufrechten Ganges zu Fuß oder bei hohem Wasserstand auch mit (Schlauch-)boot oder speziellen Eigenbauten für schmale Strecken (siehe Kapitel 9.3).

Im einfachsten Fall besteht die Sohle einer horizontalen Strecke aus dem Anstehenden, bedeckt allenfalls von etwas Geröll. Dann kommt man schnell vorwärts, prüft dabei aber gelegentlich, daß sich unter der Sohle keine gefährlichen Hohlräume befinden.

Befährt man zum Beispiel eine Gangstrecke, die trotz auf derSohle dicht liegender Massen völlig trocken ist und wo Bühnlöcher und hölzerne Einbauten auf früher umgegangenenAbbau hinweisen (Abbildung 124), ist vor allem in jüngeren Bergbauanlagen Vorsicht geboten, da man möglicherweise über aufgefülltes Tragewerk oder nicht mehr standsichere Firstkästen läuft, unter denen ein offener Abbauraum ist. Gleiches gilt für verborgene, weil überkippte Rollöcher.

Mit etwas Erfahrung und aufmerksamer Beobachtung findet man gefährliche Stellen dieser Art (zum Beispiel auch Gesenke) anhand charakteristischer Merkmale, wie durch Profilerweiterungen bei Schächten, schnell heraus Hohlliegendes verborgenes Tragewerk erzeugt beim Darüberlaufen einen dumpfen, dröhnenden Trittschall, in kleinen Löchern in der Sohle versickerndes Wasser (plötzlich verschwindendes Rinnsal) zeigt gut wasserwegsamen Versatz und vielleicht ein verstecktes Loch an. Tragewerk über einer trockenen Strecke weist ebenfalls darauf hin, daß man sich oberhalb von Versatzmassen bewegt.

Patentrezepte zur Erkennung von Gefahrenstellen in Abbauen gibt es nicht, hier helfen nur Verständnis für die Technologie, Erfahrung und Übung; im Zweifelsfall benutzt man ein Quergangsseil zur Sicherung des verdächtigen Bereiches. Der Ausbau eines solchen Querganges für die Benutzung mit Seiltechnik ist im Kapitel 14.7 beschrieben. Will man nur ein „Geländer“, also ein Seil zum Festhalten mit der Hand installieren, verwendet man ein griffiges Seil mit größerem Durchmesser. Die Griffigkeit kann durch Knoten im Abstand von etwa einem halben Meter noch erhöht werden. Die Reißfestigkeit ist weniger entscheidend, da die Schwachstelle ohnehin die zugreifende Hand ist. Natürlich verwendet man ausschließlich nicht verrottende Materialien! Ein derartiger Quergang eignet sich vor allem an absturzgefährdeten Stellen, die man aber sicher auf Gesimsen und Ähnlichem passieren kann.

Wenn es unter noch vorhandenem Tragewerk nicht weit nach unten oder in zähen grundlosen Schlamm geht, ist es auch in desolatem Zustand ziemlich ungefährlich und höchstens lästig. Am besten tritt man nur auf die Spreizen und läuft in weitem Abstand hintereinander, denn ein Brett vorm Kopf ist unangenehm. Dabei sollte man die Spreizen möglichst von vorn „anlatschen“, um eventuell übersehene Nägel krumm zu biegen, statt sie sich in den Fuß zu treten. Sind jedoch unter dem hölzernen Tragewerk Schächte oder Abbaue wasserfrei und offen, ist größte Vorsicht geboten, da das faule Holz oft nicht mehr trägt. Ist man beim Überqueren dieser Hindernisse auf das Tragewerk angewiesen, da zum Beispiel kein fester Sims am Schacht vorbei führt, muß diese Stelle mit Seilsicherung und unter Betreten der Spreizen (nicht der Bretter!) überwunden werden. Stehen die Spreizen zu weit auseinander, kann man sich behelfen, indem man die Bretter doppelt und dreifach übereinanderlegt und damit ihre Stabilität vergrößert. Angenehm ist so eine Art der Schachtquerung, auch wenn man am Seil hängt, jedenfalls nicht.

Wassergefüllte Gesenke und Abbaue sind, soweit der Wasserspiegel nicht tief unter der Sohle der Strecke liegt („Badegesenke“), ziemlich harmlos, der unfreiwillige Sprung ins kühle Naß ruft höchstens das schadenfrohe Gelächter und Gespött der Mitbefahrer hervor. Der auf diese Art Getaufte ist oft genauso schnell wieder draußen, wie er hineingefallen war. Ist man mitsamt einem schweren Rucksack hineingeplumpst, ist es zweckmäßig, diesen im Wasser abzusetzen und zuerst aufs Trockne zu befördern, damit das Heraussteigen nicht zur sportlichen Höchstleistung ausartet. Die beim Anbaden vielleicht vollgelaufene Wathose zieht einen - im Gegensatz zu oft verbreiteten Ammenmärchen - nicht nach unten, da die Auftriebsgesetze auch unter Tage gelten. Zudem hält der (bei Wassertouren hoffentlich eng sitzende ?!) Lampengürtel das meiste Wasser vom Hereinlaufen ab.

Strossen- und Magazinbau hinterlassen bedingt durch das angewendete technische Verfahren große leere Räume („offen durchgebauter Gang“) mit erheblicher Tiefenerstreckung. Die Überwindung solcher Räume ist bei fehlendem noch brauchbarem Tragewerk oder Simsen selbst mit guter Seiltechnik schwer und langwierig, stellenweise sogar unmöglich zum Beispiel dort, wo kein Haken hält und der Abbau sehr breit ist). Es ist hier besser, Umgehungsvarianten auszuprobieren, als sich nach kräftezehrendem „Hinübernageln” vielleicht über den nächsten Verbruch oder offenen großen Schacht zu ärgern. Liegen Massen auf der nicht allzutiefen Abbausohle, bringt manchmal der Versuch etwas, sich an dem einen Ende des Hohlraumes abzuseilen und im möglicherweise gegenüberliegenden Schuttkegel aufzusteigen oder mit alpinistischer Technik wieder hochzuklettern. Alle solchen Kletteraktionen müssen in unbekanntem Gebiet oder größerer Teufe (ab 3 m!) mit Seilsicherung erfolgen, da im Abbau liegende Masse nach unten wegrutschen und ein Sturz beim Klettern fatale Folgen haben kann!

Bei auf dem Ausbau liegenden Massen (zum Beispiel Steinschlagpolster, Versatz, Ablöser) faßt man am besten nichts an und stößt auch nicht gegen den Ausbau, da oft nur noch der besenstielstarke Kern des Holzes trägt (man wundert sich jedesmal wieder, was der abkann!). Gleiches gilt für Stellen, wo der Ausbau zum Teil schon zusammengebrochen ist. Wenn es ohne Gefahr des völligen Verbruchs der Strecke möglich, reißt man in so einem Fall lieber gleich alles herunter und stellt es irgendwo so auf, daß der Fahrweg frei ist und sich kein Wasser staut. Das ständige Klettern über glitschige Holzhaufen mit herausragenden Bauklammern oder Nägeln ist nämlich belastend, vor allem wenn man mit viel Gepäck (beispielsweise Fotoausrüstung) unterwegs ist. Wenn auf stark begangenen Strecken jeder etwas aufräumt, macht sich keiner einen zu großen Buckel und der Weg wird nur besser!

Bei der Befahrung von Bergbauanlagen aus jüngerer Zeit stößt man in Gangstrecken häufig auf die Relikte des Firsten- und Firstenstoßbaues (Abbildung 11), nämlich Rollen (Abbildung 126) und Überhauen. Die Rollen sind fast immer aus (mittlerweile angefaultem) Holz und oft noch mit Gestein gefüllt, welches nur noch der gute Wille in der Rolle hält. Hier gilt dasselbe wie beim Ausbau: nichts anfassen, nicht anstoßen! Ist eine Rolle bereits „ausgelaufen” und der bebaute Gang ist tonnlägig, kommt man mit der nötigen Umsicht oft noch durch, wenn nicht, gräbt man sich im Hangenden des Ganges in der Firste der Strecke am Haufen vorbei (Abbildung 127), da das der Punkt ist, der nicht so schnell wieder verrollt. Ist man sich nicht sicher, ob das Karnickelloch hält, kann man sich mit provisorischem Ausbau aus noch brauchbaren Hölzern oder - wer das bringt - aus einer kleinen Bruchsteinmauer helfen. Bei sehr steil stehenden Gängen oder vielen gebrächen Rollen hintereinander tut man besser daran, Umgehungswege zur betreffenden Gangstrecke zu suchen oder, so man hinaufkommt, die Kopfstrecke statt der Grundstrecke zu befahren. Das Sich-Ausgraben hinter einer unplanmäßig zusammengegangenen Rolle, gar nur mit Helm oder Geologenhammer als Werkzeuge, ist recht anstrengend und verdirbt den Spaß an der Befahrung.

An leeren Rollen und Überhauen besteht beim sorglosen Herumhantieren am Ausbau oder beim Hochklettern die Gefahr des Steinschlages, da der Ausbau oft mit Hilfe von dahintergekippten Bergen, die jetzt nur noch von faulen Brettern gehalten werden, kraftschlüssig an das Gebirge angeschlossen wurde. Sind die Baue steil, seilt man sich zum Klettern (schon wegen der gammligen Fahrten) an und der unten sichernde Befahrer steht dazu nicht direkt unter der Rolle oder dem Schacht. Rucksäcke, Seile und andere Ausrüstung werden da abgelegt, wo nichts drauffallen kann. Das gilt immer dort, wo der Hochkletternde Steine und Holz hinunterwerfen könnte, also auch beim Klettern in Abbauen!

Bei der Befahrung einer Weitung achtet man auf eventuelle Löser an der Firste („Sargdeckel“) und läuft nicht unter diesen entlang; bei aufgefüllter Sohle schaut man besonders nach trichterförmigen Einsenkungen, unter denen sich gern ein Rolloch oder Schacht verbirgt. Da man mit normalem Helmgeleucht in einer großen Weitung wenig sieht, prägt man sich bei Erstbefahrungen den Rückweg gut ein, da oft viele Strecken in eine Weitung münden und untersucht die Beschaffenheit des Weges vor sich, statt mit den Augen am vorausliegenden Ausgangsloch zu kleben und dabei vielleicht irgendwo hineinzuhüpfen. Steile Schuttkegel in einer Weitung verlocken zum Hinunterrutschen, der Rückweg im Geröll auf allen Vieren drei Schritte vor und zwei zurück ist danach für die lustig, die es bereits geschafft haben und zugucken dürfen. Bei großen „Packeseltouren” mit Foto- und Videozeug kann man an solchen Punkten ruhig mal ein Geländer (Seil) aufhängen. Auch wenn man von oben her an eine Weitung herankommt, ist manchmal die Anwendung der weiter unten beschriebenen Seiltechnik vonnöten; hat man keine entsprechenden Sachen dabei, kommt man besser noch einmal wieder, ehe man riskante Klettereien ohne Seil ausführt.

Befährt man eine Strecke mit einer Profilverengung, achtet man darauf, daß man nicht steckenbleibt (Rucksack absetzen, Geleucht abbinden, Kletterzeug ausziehen), an Verbruchstellen Gestein loszieht oder sich die Wathose an Nägeln, Bauklammern und ähnlichem Gerümpel zerreißt. Bei Verbrüchen muß aus der Erfahrung heraus darüber entschieden werden, wie diese einzuschätzen und zu behandeln sind; im Zweifelsfalle bricht man die Befahrung an einer gefährlichen Stelle vorerst ab und kommt mit Werkzeug und Material zum Ausbauen noch einmal wieder. Verdächtige Löser, mit denen man beim Passieren der Engstelle absehbar in Kontakt kommt, kontrolliert man vorher durch einen leichten Bereißversuch. Das Gefühl dafür, was noch hält und wo man sich noch hindurchgruseln kann, erlangt man nur durch praktische Erfahrungen bei umsichtiger Arbeit an solchen Stellen und nicht durch das Lesen behördlicher Vorschriften, bei denen man oft den Eindruck hat, daß sich der Verfasser wegen Angstneurosen in psychiatrische Behandlung begeben sollte. Das soll weder heißen, daß man bedenkenlos in jeden Verbruch reinreißen und hindurchkriechen soll oder daß man sich im anderen Extremfall vor jedem lockeren Stein fürchtet, der vielleicht schon jahrelang so herumhängt.

Besonders belustigend ist die Befahrung sehr enger Stellen. Zur eigenen Sicherheit kontrolliert man zunächst, ob sie sich während des Durchkriechens („Schlufen“ nennen das die Höfos) nicht plötzlich von selber noch weiter verengen können. Die Körperteile, die am ehesten hängenbleiben, sind das Schulterblatt, der Brustkorb mit befahrerspezifischem Besatz und das Becken. Einen ordentlichen Bauch dagegen kann man überall durchschieben. Die Breite des Schulterblatts läßt sich reduzieren, indem man einen Arm vorstreckt und den anderen nach hinten an den Körper legt, dann stehen die Knochen schräg und passen gut überall durch. Der Brustumfang verringert sich durch Ausatmen. Das Becken dagegen paßt oder paßt nicht. Engstellen befährt man am besten mit dem Kopf voraus, sonst kann man unversehens in tiefe Löcher plumpsen.

Eine sehr eklige Sache ist das Steckenbleiben in einer solchen Engstelle. Zwei typische Fälle zeigt Abbildung 128: man ist oben in einen keilförmigen Spalt eingestiegen und hängt nun weiter unten fest, oder man ist in einen schrägen Bau nach unten hineingerutscht, und ein Haufen Geröll hinterher. Aus diesen zwei Fällen kann man sich oft nur durch Hilfe anderer befreien, man sollte sich also die Stellen vorher daraufhin ansehen! Alle anderen Situationen lassen sich eigentlich mit etwas Ruhe immer bewältigen. Generell gilt: wie hinein, so geht es auch hinaus, also die gleichen Verrenkungen rückwärts anwenden. Dies gilt übrigens auch für den Rückweg. Ansonsten kann man sich versuchen seiner Kleidung zu entledigen, störende Gurte, Entwickler und so weiter vom Körper zu entfernen – im Extremfall läßt man sich freischneiden. Bisweilen lassen sich Verbrüche mit etwas Arbeit erweitern. Vor allem aber darf man nicht in Panik geraten!